BGM-Prozess: Bedarfsanalyse

Die Bedarfsanalyse ist ein zentraler Schritt im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM). Sie liefert wertvolle Erkenntnisse über die gesundheitlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden und identifiziert Handlungsfelder, um gezielte BGM-Maßnahmen für mehr Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit im Unternehmen zu entwickeln.

Wie “gesund” ist Ihr Unternehmen? Darum geht es bei der Bedarfsanalyse. Dabei gilt: Fakten statt Vermutungen. Je genauer Sie die Ist-Situation im Unternehmen kennen und die Risiken und Potenziale einschätzen können, desto einfacher und zielgerichteter gehen Sie in die Maßnahmenplanung.

Kennzahlen im BGM

Im Betrieblichen Gesundheitsmanagement gibt es prinzipiell zwei Arten von Kennzahlen. Harte Kennzahlen können quantitativ ausgezählt, berechnet und für eine spätere Auswertung genutzt werden. Dazu gehören zum Beispiel:

 

  • Wie häufig und wie lange sind Beschäftigte krank?
  • Ausgaben für Entgeltfortzahlung
  • Unfallzahlen
  • Häufigkeit für Betriebliches Eingliederungsmanagement
  • Anzahl der Mitarbeitenden, die krankheitsbedingt ihre Arbeit aufgeben mussten

Weiche Kennzahlen lassen sich meist nur qualitativ messen. Sie liefern subjektive Ergebnisse und können nicht direkt monetär dargestellt werden. Beispiel dafür sind:

 

  • Außensicht durch Expert:innen
  • Innensicht der Betroffenen (Beschäftigte, Führungskräfte usw.): Zufriedenheit, Arbeitsklima, Motivation, Stresslevel, Work-Life-Balance, Führungsqualität u.v.m.
BGM: Alle Analysetools im Überblick

Egal ob harte oder weiche Kennzahlen: Es gibt verschiedene Datenquellen, aus denen sich Daten für die BGM-Maßnahmenplanung ziehen lassen. Um eine möglichst aussagekräftige Datenbasis zu erhalten, ist es ratsam, mehrere Analyseverfahren miteinander zu kombinieren. Damit die Datenmenge überschaubar bleibt, bietet es sich an, in der ersten Analysephase nicht zu viele Tools einzusetzen. Gerade bei mittleren und größeren Betrieben reicht oft eine ganzheitliche Mitarbeiterbefragung aus. Bei Kleinbetrieben reicht oft schon ein Workshop aus.

Selbsteinschätzung: BGM-Selbsttest

Mit einer Selbsteinschätzung oder einem BGM Selbsttest können Sie als Unternehmen ihre Gesundheitsstrategie reflektieren und bewerten. Durch strukturierte Fragen zu Betriebsgesundheit, Präventionsmaßnahmen und Arbeitsplatzbedingungen gewinnen Sie ein umfassendes Bild der bestehenden BGM-Maßnahmen. Dadurch kristallisieren sich Stärken und Verbesserungspotenziale heraus, aus denen Sie zielgerichtete Maßnahmen entwickeln können. Einen umfassenden Fragebogen zur Selbsteinschätzung liefert etwa das European Network For Workplace Health Promotion (ENWHP). Die BGF Koordinierungsstelle bietet zudem einen BGF-Kurzcheck an. Hier erhalten Sie in nur 9 Fragen eine erste Einschätzung, wo Sie bei der Betrieblichen Gesundheitsförderung stehen.

 

Tools:

 

BGF Koordinierungsstelle: Kurzcheck

ENWHP: Fragebogen zur Selbsteinschätzung (DE)

ENWHP: Questionnaire for self-assessment (EN)

Beschäftigtenbefragung

Die Mitarbeiterbefragung ist ein bewährtes Instrument, um persönliche Einblicke von Beschäftigten zu sammeln. Sie identifizieren damit Meinungen, Erwartungen, Bedürfnisse, Verbesserungspotenziale und Handlungsfelder im Gesundheitsmanagement – anonym, freiwillig, systematisch und möglichst standardisiert. Gleichzeitig integrieren Sie Beschäftigte aktiv in den BGM-Prozess, was die Akzeptanz steigern kann (Stichwort: Partizipation). Sie können etwa Fragen zu den körperlichen, psychischen und sozialen Belastungsfaktoren oder den individuellen Gesundheitszielen stellen. Oder zum empfundenen Stresslevel, der Work-Life-Balance oder den Arbeitsbedingungen.

Der große Vorteil: Die Befragung hilft Ihnen nicht nur für die Planung Ihrer BGM-Maßnahmen. Auch danach können sie die Methode nutzen, um Vergleichsdaten zu gewinnen und Veränderungen zum Ausgangszustand zu erkennen. Mehr dazu erfahren Sie bei der Ergebniskontrolle.

 

Tools:

UK Bund: Mitarbeiterbefragung für ein fundiertes BGM

 

Gesundheitszirkel

Der Gesundheitszirkel ist ein qualitativ-subjektives Analyseverfahren, das das Fachwissen der Beschäftigten über ihre Arbeitsbedingungen nutzt. In moderierten Gruppendiskussionen werden zentrale Problemfelder identifiziert, beschrieben und Lösungsvorschläge entwickelt. Die Gruppe setzt sich homogen (Beschäftigte derselben Hierarchieebene) oder heterogen (Beschäftigte gemeinsam mit Expert*innen und/oder Führungskräften) zusammen.

 

Geeignet für Unternehmen jeder Größe und jeden Wissensstandes, fördert der Gesundheitszirkel eine intensive Beteiligung der Beschäftigten an der Verbesserung ihrer Arbeitssituation und liefert eine detaillierte Problemanalyse mit zielgerichteten Lösungen. Die Beteiligung steigert die Akzeptanz der Maßnahmen bei den Adressaten und wirkt sich positiv auf Motivation und Gesundheit der Teilnehmenden aus.

 

Beim Gesundheitszirkel unterscheidet man zwischen zwei Modellen:

 

Berliner Modell

Eine Auswahl von Beschäftigten setzt sich mit Vertreter:innen des Arbeitskreises Gesundheit zusammen. Gemeinsam mit einer moderierenden Person diskutieren sie über gesundheitsbezogene Themen. Außer den Gesundheitsexpert:innen gehören alle Beteiligten einer Hierarchieebene an. Vorgesetzte der Beschäftigten sind nicht anwesend, so können sie Probleme offen ansprechen.


Düsseldorfer Modell

Eine Auswahl von Beschäftigten setzt sich mit Vertreter:innen des Arbeitskreises Gesundheit zusammen. Direkte Vorgesetzte sind bei diesem Modell aber aktiv beteiligt. Dadurch können gemeinsame Entscheidungen schnell umgesetzt werden. Durch Anwesenheit der Vorgesetzten sind Beschäftigte möglicherweise gehemmt, Probleme und Belastungen offen anzusprechen.

 

Tools:

UVB: Broschüre zur Durchführung von Gesundheitszirkeln

Krankheits- und Fehlzeitenanalysen

Die Fehlzeitenanalyse ist ein quantitatives und objektives Instrument, das durch EDV-gestützte Auswertungen den Krankenstand und die Struktur der Fehlzeiten im Unternehmen erfasst. Die Daten werden je nach Schwerpunkt berechnet – etwa nach Mitarbeiterstruktur, Zeitraum oder Definition von Abwesenheit. So ermöglicht es die Fehlzeitenanalyse, innerbetriebliche zwischen verschiedenen Gruppen zu vergleichen, etwa nach Alter, Geschlecht oder Abteilungen. Zudem liefert sie Infos darüber, wie sich die Zahlen mit Blick auf kurzzeitige (1-3 Tage), mittelfristige (4 Tage bis 6 Wochen) und langfristige (mehr als 6 Wochen) Abwesenheiten verteilen.

 

Tools:

BGHM: Vom Krankenstand zum Fehlzeitenmanagement

 

Fehlzeiten bleiben ein vager Indikator

Die Schlussfolgerung, alle Abwesenden seien krank und alle Anwesenden gesund, ist nicht haltbar. Außerdem geben Fehlzeitenanalysen keine Hinweise auf die Ursachen. Zusammenhänge zu erkennen und Maßnahmen abzuleiten im Unternehmen zu erkennen ist daher nicht möglich, ohne weitere Analysen durchzuführen.
Gesundheitsbericht der Krankenkasse

Während sich die Fehltage leicht zusammenzählen lassen, bleiben die Gründe für diese meist unklar – Unternehmen können sie über die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht einsehen. Krankenkassen hingegen erfahren darüber die Ursachen. Ärztinnen und Ärzte vermerken über eine Kennziffer die Diagnose. Krankenkassen dürfen diese personenbezogenen Diagnosen natürlich nicht weitergeben. Aber: Sie können diese als Summe aller Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für ein Unternehmen addieren und daraus Betriebliche Gesundheitsberichte erstellen.

 

Eckpunkte Gesundheitsbericht:

  • Voraussetzung: Mindestens 50 Beschäftigte des Unternehmens sind bei der Krankenkasse versichert.
  • Liefert Hinweise, wo im Betrieb krankheitsbedingte Auffälligkeiten vorliegen
  • Informiert über den Krankenstand, differenziert nach Entgeltfortzahlung, Krankengeldbezug, Frauen und Männer sowie Abteilungen. 
  • Ordnet Krankschreibungen in Diagnosegruppen ein (Atemwege, Muskel-Skelett, Verdauung, Unfälle, Herz-Kreislauf, Psyche). So lassen sich etwa Schwerpunkte für BGM-Maßnahmen ableiten.
  • Aussagekräftig im Vergleich mit den Vorjahresergebnissen oder mit Durchschnittswerten in der Branche oder Region.

Gesundheitsbericht anfragen

Einen Gesundheitsbericht mit anonymisierten Daten fragen Sie direkt bei den Krankenkassen an. Diese beraten Sie über die genauen Anforderungen und den Ablauf der Datenanforderung. Beides kann je nach Kasse variieren.
Gefährdungsbeurteilungen

Eine Gefährdungsbeurteilung ermittelt systematisch die Risiken, denen Beschäftigte bei ihrer Arbeit ausgesetzt sind. Und sie bewertet, ob Maßnahmen zur Unfallverhütung und zur Vermeidung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren erforderlich sind oder ob bestehende Vorkehrungen ausreichend sind. Zu den Gefährdungsbeurteilungen gehören unter anderem Unfall- und Arbeitsschutzberichte oder Arbeitsplatzanalysen.

 

Falls nötig, werden zusätzliche Maßnahmen zur Beseitigung oder Begrenzung von Gefährdungen festgelegt, dokumentiert und auf ihre Wirksamkeit überprüft. Dabei werden alle Arbeitsaspekte berücksichtigt: Arbeitsverhältnisse, Arbeitsstoffe, Arbeitsmittel, Methoden, Organisation und die Qualifikation der Mitarbeitenden sowie alle potenziellen Gefährdungsfaktoren – insbesondere psychische Belastungen.

 

Die Gefährdungsbeurteilung gibt Unternehmen und Führungskräften einen systematischen Überblick über Gefahren und notwendige Schutzmaßnahmen, wodurch sie gezielt erkennen, wo Handlungsbedarf besteht. Als kontinuierlicher Prozess trägt die Analysemethode maßgeblich zur Reduzierung von Arbeitsunfällen und Gesundheitsrisiken bei und bildet die Grundlage für ein effektives Sicherheits- und Gesundheitsmanagement.

 

Tools & Leitfäden:

BAuA: Handbuch Gefährdungsbeurteilung

GDA: Leitlinie Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation

GDA–ORGAcheck: Selbst-Check zur Arbeitsschutzorganisation in KMUs

Alters- und Personalstrukturanalyse

Viele Daten stehen Unternehmen über EDV-Systeme direkt zur Verfügung. Dazu gehört etwa die Personalstruktur, die Einblicke in die Zusammensetzung der Belegschaft ermöglicht. Außerdem ermöglichen Personaldaten eine Altersstrukturanalyse, die die Altersverteilung innerhalb der Belegschaft erfasst. Durch tabellarische oder grafische Darstellung der Daten lassen sich strategische Handlungsfelder ableiten – etwa, um auf demografische Veränderungen zu reagieren.

Arbeitsmedizinische Vorsorge-Checks

Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen und Gesundheits-Check-ups sind präventive Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter. Sie ermöglichen die frühzeitige Erkennung arbeitsbedingter Gesundheitsrisiken sowie individueller Belastungen und bieten eine Grundlage, um gezielte Schutzmaßnahmen und gesundheitsfördernde Angebote zu entwickeln. So tragen sie zur langfristigen Gesunderhaltung der Belegschaft bei und stärken die Gesundheitskultur im Unternehmen. Vorsorge-Checks können etwa im Rahmen eines Gesundheitstags angeboten werden.

 

Tools:

Leitfaden Gesundheitstag

Wichtige Partner: Arbeitsmedizin & betriebsärztlicher Dienst

Besonders für die betriebliche Gesundheit in mittleren und großen Unternehmen sind Betriebsarzt:innen Schlüsselfiguren. Durch die direkte Anbindung an Beschäftigte können sie präventive Maßnahmen effektiver umsetzen – häufig sogar effektiver, als es das reguläre Gesundheitssystem erlaubt. Zudem fördern sie durch personalisierte Ansätze und schnelle Überweisungen die Arbeitsfähigkeit und reduzieren Kosten durch Fehlzeiten.
Gender-Perspektivwechsel

Andere Sichtweisen kennenlernen: Die Methode “Gender-Perspektivwechsel” lässt sich gut in einem Workshop durchführen. Männer werden zunächst befragt, wie sie den Arbeitsstress, den Handlungsspielraum und die Einstellung zur Arbeit ihrer Kolleg:innen einschätzen; anschließend bewerten die Frauen dasselbe in Bezug auf ihre männlichen Kolleg:innen. In der gemischten Gruppe werden danach Selbst- und Fremdwahrnehmungen miteinander verglichen. Dieser Perspektivwechsel schafft Distanz zum eigenen Geschlecht und bringt Belastungsfaktoren ans Licht, die oft als selbstverständlich oder tabuisiert betrachtet werden und daher selten angesprochen werden.

Achtung, Datenschutz: Was bei BGM-Analysemethoden zu beachten ist

 

Gesundheitsdaten sind äußerst sensibel. Bei der Durchführung von Analysen im BGM ist stets das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Beschäftigten sicherzustellen. Gesetzliche Anforderungen sind einzuhalten und der BGM-Prozess entsprechend zu gestalten. Ein transparentes, eindeutiges und verständliches Datenschutzkonzept fördert darüber hinaus das Vertrauen der Beschäftigten in die Maßnahmen.

 

  • Teilnahme an einer Mitarbeiterbefragung oder einzelnen Abschnitte dieser müssen immer freiwillig sein
  • Auswertung der Daten darf nur in anonymisierter Form erfolgen: Bei allen Auswertungen ist sicherzustellen, dass zu keinem Zeitpunkt Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich sind.
  • Beschäftigte transparent über Nutzung und Verwendung der anonymisierten Daten informieren.
  • Durch Sicherheitsmaßnahmen muss ein unbefugter Zugriff auf die Daten ausgeschlossen werden.
  • Wird ein externer Stakeholder in Anspruch genommen, so sind die Anforderungen an den Datenschutz vorab klar zu definieren.

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