Health Literacy: Gesundheitskompetenz als zentraler Faktor im BGM

Die Gesundheitskompetenz ist in der digitalisierten und komplexen Arbeitswelt ein wichtiger Erfolgsfaktor für das BGM geworden. Doch was bedeutet der Begriff eigentlich? Wir geben Ihnen einen kompakten Überblick, den Stand in Deutschland sowie konkrete Maßnahmen, um Gesundheitskompetenz im Unternehmen aktiv zu fördern.
Was ist (digitale) Gesundheitskompetenz?

Gesundheitskompetenz – auch “Health Literacy” genannt – bezeichnet die Fähigkeit, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden, um fundierte Entscheidungen für die eigene Gesundheit treffen zu können. Das bedeutet, dass sich Menschen über das Gesundheitswesen, die Krankheitsprävention und die Gesundheitsförderung eigenständig eine Meinung bilden und Entscheidungen treffen können, die ihre Lebensqualität erhalten oder verbessern. Digitale Gesundheitskompetenz umfasst darüber hinaus die Nutzung digitaler Werkzeuge wie Gesundheits-Apps, Online-Sprechstunden oder Plattformen zur Gesundheitsförderung.1

 

Die Gesundheitskompetenz wird immer wichtiger: Die Lebenserwartung steigt, chronische Krankheiten nehmen zu. Die Digitalisierung und kulturelle Diversifizierung der Gesellschaft stellen nicht nur Versicherte und Patient:innen, sondern das gesamte Gesundheitssystem vor Herausforderungen. Gesundheitskompetenz befähigt Menschen, mit gesundheitsbezogenen Informationen und Ressourcen effektiv umzugehen und so ihre Gesundheit eigenverantwortlich zu gestalten.

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Prof. Dr. Doris Schaeffer (Universität Bielefeld) über Gesundheitskompetenz

Drei-Stufen-Modell

  1. Funktional
    Fähigkeiten vorhanden, um Gesundheitsinfos zu verstehen (z.B. Lesen)
  2. Interaktiv
    Kognitive und soziale Skills vorhanden, um sich mit Infos zu befassen & sie zu nutzen.
  3. Kritisch
    Fähigkeit vorhanden, Infos kritisch zu hinterfragen und einzuordnen.
Welche Folgen hat eine geringe Gesundheitskompetenz?

Bisherige Studienergebnisse vermitteln eine Vorstellung davon, inwieweit eine geringe Gesundheitskompetenz mit dem Verhalten von Betroffenen zusammenhängt. So führt sie etwa dazu, dass Menschen weniger an gesundheitsförderlichen Aktivitäten teilnehmen und weniger für Therapieformen motiviert sind. Eine geringe Gesundheitskompetenz steht zudem im Zusammenhang mit risikoreicher gesundheitsbezogene Entscheidungen (z.B. Rauchen), Arbeitsunfällen und dem suboptimalen Umgang mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes. Hinzu kommen ein schlechterer, subjektiver Gesundheitszustand, schlechtere Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten, häufigere Kontakte mit Ärzt:innen oder dem ärztlichen Notfalldienst. Besondere Ältere, chronisch Kranke und Menschen mit einem niedrigeren Bildungs- oder Einkommensstatus haben deshalb einen erhöhten Unterstützungsbedarf bei Gesundheitskompentenz.2

Wo sich Bürger:innen über Gesundheit informieren³

82
%
Radio und Fernsehen
76
%
Broschüren von Krankenkassen
71
%
Zeitschriften und Zeitungen
69
%
Internet
Gesundheitskompetenz hat sich verschlechtert

Während im Jahr 2016 etwa jeder zweite Mensch (54 Prozent) in Deutschland eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz aufwies, waren es im 2021 fast 60 Prozent. Die Gesundheitskompetenz hat sich also graduell verschlechtert. Woran liegt das? Die Befragten gaben unterschiedliche Gründe an. Dazu gehörten etwa die Menge, Vielfalt und Widersprüchlichkeiten der (zunehmend digitalen) Informationen. Aber auch die Zunahme von Falsch- und Fehlinformationen zu Gesundheitsthemen.2

Beeinflusst wird die Gesundheitskompetenz nicht nur von individuellen Voraussetzungen und Fähigkeiten. Es geht auch darum, dass Gesundheitsinformationen für Menschen verfügbar sind – und eine hohe fachliche Qualität haben.1 Auch der soziale Status, die Herkunft, das Alter und das Vorliegen chronischer Erkrankungen gehören zu den Einflussfaktoren. Die Gesundheitskompetenz liegt deshalb nicht allein in der Verantwortung von Einzelnen. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche und damit auch eine wichtige betriebliche Aufgabe.

Wie Betriebsgesundheit und Gesundheitskompetenz zusammenhängen

Aufgabe von Unternehmen ist es, Beschäftigten entsprechend ihren Bedürfnissen gute gesundheitsbezogene Entscheidungen zu ermöglichen, sie zu unterstützen und entsprechende Rahmenbedingungen im Betrieb zu schaffen. Denn: Gesundheitskompetenz bildet eine essentielle Grundlage für eine nachhaltige Betriebsgesundheit. Beschäftigte mit hoher Gesundheitskompetenz sind nicht nur körperlich und mental widerstandsfähiger, sondern auch produktiver und seltener krank. Betriebe, die die Gesundheitskompetenz fördern, schaffen eine gesundheitsbewusste Unternehmenskultur und tragen dazu bei, Arbeitsausfälle zu reduzieren. Das BGM kann hier als zentraler Hebel wirken, um nicht nur die individuelle Kompetenz, sondern auch die Team- und Unternehmensebene zu stärken.

  • “Die Stärkung der Gesundheitskompetenz sollte Bestandteil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements werden.”
    Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz
Maßnahmen: Gesundheitskompetenz im Unternehmen fördern

Eine Empfehlung im Nationalen Aktionsplan Gesundheitsförderung ist, die Gesundheitskompetenz im Beruf und am Arbeitsplatz zu fördern. Dafür steht Unternehmen eine Reihe an Handlungsfeldern zur Verfügung:⁴

 

  • Das Thema Gesundheitskompetenz stärker in die BGM-Angebote und die Arbeitssicherheit integrieren.
  • Interne und externe Angebote zur kostenlosen Gesundheitsberatung etablieren, mit denen sich Beschäftigte unabhängige Infos, Rat und Unterstützung bei Belastungen, Überforderungen und Krankheiten einholen können.
  • Die Medienkompetenz und die kritische Urteilsfähigkeit der Beschäftigten im Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen fördern, zum Beispiel durch Newsletter, Schulungen, Workshops, Infotage oder Aufklärungskampagnen zur Nutzung von sozialen Netzwerken & Gesundheits-Apps.
  • Gesundheitsrelevante Informationen und Tools im Unternehmen bereitstellen – einfach zugänglich und barrierefrei, in einfacher Sprache und in multimedialen Formaten.
  • Betriebliche Vorsorge-Checks: Durch regelmäßige Gesundheitschecks können Beschäftigte nicht nur Probleme frühzeitig erkennen, sondern auch für Gesundheitskompetenz sensibilisiert werden.
  • Führungskräfte als Schlüsselrolle: Sie können als Vorbild agieren und durch gezielte Schulungen Gesundheitskompetenz fördern. Sie können Beschäftigte zudem für gesundheitlich belastende Phasen sensibilisieren – etwa den Berufsstart, die Familiengründung, die Angehörigenpflege oder den Übergang in den Ruhestand.

Wo finden Beschäftigte verlässliche Gesundheitsinformationen?

Digital stehen Beschäftigte viele Anlaufstellen bereit, um evidenzbasierte Gesundheitsinformationen zu finden. Das nationale Gesundheitsportal etwa bietet Bürger:innen gut verständliche und zugleich wissenschaftlich abgesicherte Informationen zu allen wichtigen Fragen rund um die Gesundheit. Die Website Gesundheitsinformation.de des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bietet gesundheitsbezogene Infos zu einem breiten Themenspektrum. Die Artikel durchlaufen eine mehrstufige Qualitätssicherung, an der sowohl Expert:innen innerhalb und außerhalb unseres Instituts als auch Patient:innen beteiligt sind.
Fazit: Gesundheitskompetenz als Investition in die Zukunft

Die Förderung der Gesundheitskompetenz ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für Unternehmen, die auf nachhaltige Betriebsgesundheit setzen. Sie stärkt nicht nur die individuelle Leistungsfähigkeit, sondern trägt auch zu einer resilienten und gesunden Unternehmenskultur bei. Indem Sie gezielt Maßnahmen zur Gesundheitskompetenz umsetzen, schaffen sie die Grundlage für motivierte Mitarbeitende und langfristigen Erfolg.

1
RKI (2024): Gesundheitskompetenz / Health Literacy
2
BMG (2024): Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung
3
RKI (2019: Kommunikation und Information im Gesundheitswesen (KomPaS)