Der Weg zurück: Wie ein erfolgreiches BEM gelingt

Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) erleichtert erkrankten Mitarbeitenden die Rückkehr ins Berufsleben und fördert ihre nachhaltige Integration zurück in den Arbeitsalltag. Doch was genau umfasst das BEM, und warum ist es so wichtig?
Was ist BEM?

Unter BEM versteht man das Betriebliche Eingliederungsmanagement, kurz: BEM.

Der Weg zurück in den Beruf nach einer längeren Erkrankung im Job ist für einzelne Beschäftigte oft mit Schwierigkeiten verbunden. Neben den Sozialversicherungsträgern stehen in diesem Fall auch die Unternehmen in der Verantwortung, gesundheitlich eingeschränkten Mitarbeitenden den Weg zurück an den Arbeitsplatz und in das gesellschaftliche Leben zu ebnen – damit ist niemand auf sich allein gestellt.

 

Das BEM ist eine gesetzlich verankerte Maßnahme, die Mitarbeitenden helfen soll, nach längeren Krankheitsphasen wieder in den Beruf zurückzufinden. Unternehmen sind nach  § 167 Abs. 2 SGB IX verpflichtet, Mitarbeitenden, die länger als sechs Wochen im Jahr krank sind, ein BEM anzubieten. Das Hauptziel des BEM ist die langfristige Eingliederung der erkrankten Person in den Arbeitsprozess. Es geht aber auch darum, erneute  Erkrankungen zu vermeiden. Das Anliegen des BEM ist es daher, die Wiedereingliederung und damit die Sekundär- und Tertiärprävention auf mehrere Schultern zu verteilen. Die Teilnahme am BEM erfolgt stets auf freiwilliger Basis und ist für die Beschäftigten nicht verpflichtend.

Demografischer Wandel: Die Belegschaft altert

Der Anteil der über 45-Jährigen wächst, während der Anteil der jüngeren Erwerbstätigen sinkt. So ist der Anteil der beschäftigten BKK-Mitglieder im Alter über 45 Jahren im letzten Jahrzehnt um mehr als 17% angestiegen. Parallel dazu ist der Anteil der AU-Tage mit einer Dauer von mehr als sechs Wochen um 4% gestiegen. Dies führt zu längeren Krankheitsausfällen und einem erhöhten Risiko für dauerhafte Leistungsminderung. Mit BEM lassen sich diese Herausforderungen bewältigen.

Welche Vorteile hat BEM?

Es ist wichtig und sinnvoll, chronische oder schwer erkrankte Arbeitnehmende wieder einzugliedern. BEM bietet sowohl dem Unternehmen als auch den Beschäftigten erhebliche Vorteile.

 

Für Beschäftigte

  • Unterstützung beim Wiedereinstieg
  • Förderung der Genesung und Lebensqualität
  • Anerkennung ihrer Arbeitskraft

 

Für Unternehmen

  • Steigerung der Produktivität
  • Prävention von Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung
  • Erhalt von Fachwissen
  • Vermeidung von krankheitsbedingten Kündigungen und Zusatzkosten
  • Verbesserung des Betriebsklimas und Employer Branding

 

Das lohnt sich

Das BEM spart durch Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit erhebliche Kosten. Wie hoch, hängt allerdings vom jeweiligen Kontext ab. Selbst in Fällen, in denen die Leistungsfähigkeit nicht wieder vollständig erreicht wird, kann von einer positiven Bilanz ausgegangen werden. Ein weiterer Vorteil: Unternehmen und Organisationen haben Rechtssicherheit, wenn ein Arbeitsverhältnis trotz aller Integrationsbemühungen nicht weiter erhalten werden kann.

5
Nutzen für jeden in BEM investierten Euro.¹
20
ROI im BMW-Werk Regensburg durch Einrichtung einer Sozialbetreuungsstelle, die das BEM koordiniert.¹
9
Mio.
Dollar gesparte Kosten bei Ford durch erfolgreiche Wiedereingliederung von Beschäftigten.¹
12
Mio.
Dollar Kosteneinsparungen durch Disability Management beim Forstunternehmen Weyerhaeuser.¹ ²
Viele Möglichkeiten

Die Möglichkeiten zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit sind vielfältig und flexibel gestaltbar, von Belastungserprobung über Arbeitstherapie bis zur Anpassung von Aufgaben oder Versetzungen. Eine bewährte Methode ist die „stufenweise Wiedereingliederung“, bei der Betroffene schrittweise ihre Leistungsfähigkeit wieder aufbauen. Währenddessen bleibt die Krankschreibung bestehen, und Krankengeld wird weiterhin gezahlt. Die Abstimmung erfolgt eng mit dem behandelnden Arzt.

Das Integrationsteam

Zu den Aufgaben des Integrationsteams gehört u.a: 

 

  • interne Öffentlichkeitsarbeit
  • Kontaktaufnahme zur betroffenen Person
  • Situationsanalyse
  • Maßnahmen ermitteln, planen und durchführen
  • Kooperation mit internen und externen Experten und gesundheitsrelevanten Stellen
  • Abstimmung mit den Sozialversicherungsträgern
  • Wirksamkeitskontrolle
  • Dokumentation (BEM-Akte)
BEM-Ablauf im Detail

#1: Arbeitsunfähigkeitsdauer feststellen

Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit wird auf Basis einer Sechs-Wochen-Frist überprüft. Arbeitsfreie Tage (z.B. Wochenende) sind grundsätzlich mit einzubeziehen. Bei einer Krankheitsdauer mit Unterbrechungen muss die Dauer der Arbeitswoche mit berücksichtigt werden:

 

5-Tage-Woche = 30 Arbeitstage mit Arbeitsunfähigkeit

6-Tage-Woche = 36 Arbeitstage mit Arbeitsunfähigkeit

 

Die gesetzlich definierte Frist „innerhalb eines Jahres“ bezieht sich nicht auf das Kalenderjahr, sondern auf die letzten zwölf Monate ab dem Zeitpunkt der ersten Arbeitsunfähigkeit. 

 

#2: Kontaktaufnahme mit betroffenen Beschäftigen

Der Arbeitgeber nimmt i.d.R. vertreten durch die Personalabteilung oder das Integrationsteam, Kontakt zu den Betroffenen auf. Diese werden transparent informiert und zur Teilnahme eingeladen, um es ihnen möglich zu machen, auch eigene Wünsche zum Erstgespräch zu äußern.

 

#3: Erst-/Vorgespräch führen

Im Erstgespräch werden Wünsche und Ziele der Wiedereingliederung zusammen mit den Beschäftigten erörtert, wie auch potenzielle Ursachen analysiert. Wichtig ist es, eine schriftliche Einwilligungserklärung mit Hinweis auf datenschutzrechtliche Bestimmungen einzuholen. Ohne dieses Dokument dürfen weder Informationen von Dritten eingeholt noch an Dritte weitergegeben werden.

 

#4: Fallbesprechung

Ein Integrationsplan wird gemeinsam entwickelt, oft unter Einbindung externer Stellen wie Krankenkassen oder Reha-Träger. Der Mitarbeitende sollte an der Fallbesprechung auf jeden Fall teilnehmen. Auch wenn die Anwesenheit nicht zwingend ist, so steht der betroffene Beschäftigte stets im Mittelpunkt des Verfahrens. 

 

#5: Maßnahmen gemeinsam durchführen

Verschiedene Maßnahmen wie Arbeitsplatzanpassungen, Belastungserprobungen oder Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz werden umgesetzt und gemeinsam durchgeführt.

 

Eine erfolgreiche Form der beruflichen Reintegration ist die „stufenweise Wiedereingliederung“ – Sie bietet den Betroffenen an, sich allmählich an die Anforderungen des Arbeitsplatzes zu gewöhnen. Während dieser Zeit dauert die Krankschreibung offiziell an – es wird also auch weiterhin Krankengeld überwiesen. Die Betreuung des Beschäftigten erfolgt in enger Abstimmung mit dem behandelnden Arzt.

 

#6: Wirkung der Maßnahmen überprüfen

Die Überprüfung und Bewertung der Maßnahmen ist wichtig: Nur so können Sie positive und negative Faktoren erkennen und diese Erfahrungswerte in die Arbeit einfließen lassen. 

 

#7: Evaluation – transparent & nachvollziehbar

Die Ergebnisse der Maßnahmen werden bewertet, z. B. durch Zufriedenheitsbefragungen oder Analyse der Fehlzeiten. Die Dokumentation strukturiert und steuert den Prozess und sichert die ordnungsgemäße Durchführung. Sie ist auch Grundlage für die Evaluation. Eine fallbezogene BEM-Akte umfasst:

 

  • BEM-Deckblatt: Mitarbeiterdaten (Name, Personal-Nr., Abteilung, Kontaktinfos)
  • Kontakt: Schriftverkehr, Telefon- und Gesprächsdokumentationen
  • Datenschutz: Einwilligungen, Schweigepflichtentbindungen
  • Situationsanalyse: Arbeitsplatzbeschreibung, Gefährdungsbeurteilungen, medizinische Unterlagen
  • Maßnahmen: Anforderungsprofile, Eingliederungsplan, Protokolle, Dokumentation der Anpassungen
  • Ergebnisprotokoll: Zusammenfassung der Wirksamkeitsprüfung.
Erfolgsfaktoren & Fehlerquellen

Ein offener Umgang, feste Ansprechpartner und betriebliche Vereinbarungen steigern die Akzeptanz des BEM. Fehlende Informationen, geringe Mitwirkungsbereitschaft und mangelnder Datenschutz können den Erfolg mindern. Oft fehlt Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten, da Letztere nicht verpflichtet sind, ihre gesundheitliche Situation offenzulegen, aber dennoch Einblicke in ihre Privatsphäre gewährt werden. 

 

Fördernde Faktoren:

 

  • Offener Umgang mit Krankheit und Leistungsminderung
  • Rechtzeitige Ansprache und feste, kompetente Ansprechpartner
  • Transparente Aufklärung und positives Betriebsklima
  • Externe Beratung und betriebliche Vereinbarungen
  • Altersgerechte Personalentwicklung und Kooperation mit Reha-Trägern

 

Störfaktoren und Fehlerquellen:

 

  • Tabuisierung von Krankheit und Informationsdefizite
  • Fehlende Fehlzeitenerfassung oder Prioritätensetzung
  • Geringe Mitwirkungsbereitschaft oder Eigenverantwortung der Betroffenen
  • Eigenmotivierte Kündigungen oder vorzeitige Rentenbewilligung
  • Mangelnde Verfügbarkeit geeigneter Arbeitsplätze
  • Unzureichende Qualität oder Engagement im BEM-Prozess
  • Fehlender Datenschutz und unzureichende externe Unterstützung
BEM-Beispiel: Wiedereingliederung nach einer Krebserkrankung

Ein Mitarbeitender kehrt nach einer sechsmonatigen Krebstherapie (Operation und Chemotherapie) an den Arbeitsplatz zurück. Neben körperlicher Schwäche leidet er an Fatigue (chronische Erschöpfung), eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit und psychischer Belastung durch die Krankheitsverarbeitung. Er benötigt deshalb eine schrittweise Wiedereingliederung. 

 

Im ersten Schritt laden Sie den Mitarbeitenden zu einem BEM-Gespräch ein. Ziel ist es, die Bedenken und Bedürfnisse Ihres Beschäftigten zu ermitteln und gemeinsam eine Strategie für die Wiedereingliederung zu entwickeln. Gemeinsam mit dem Mitarbeitenden, der Personalabteilung und der Fachkraft für Arbeitssicherheit prüfen Sie, welche Tätigkeiten der Mitarbeitende schrittweise wieder ausüben kann. Sie identifizieren eventuelle Anpassungen im Arbeitsumfeld (z. B. ergonomischer Arbeitsplatz, flexible Arbeitszeiten). Anschließend entwickeln Sie gemeinsam einen stufenweisen Wiedereingliederungsplan, zum Beispiel:

 

  • Woche 1–2: 20 % Arbeitszeit mit Fokus auf administrative Aufgaben.

 

  • Woche 3–4: 50 % Arbeitszeit, Einführung in frühere Tätigkeiten.

 

  • Ab Woche 5: Vollzeit mit Betreuung durch den Betriebsarzt.

 

Begleitend dazu bieten sich regelmäßige Feedbackgespräche mit dem Mitarbeitenden und eine psychosoziale Unterstützung an, um die Krankheitsverarbeitung zu fördern. Sinnvoll können auch Schulungen zur Auffrischung von Fachwissen sein sowie die Sensibilisierung der Kolleg:innen durch Workshops, um Stigmata abzubauen und Unterstützungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Nach Abschluss des Plans führen Sie ein Evaluationsgespräch, um mit dem Beschäftigten den Erfolg der Maßnahmen zu bewerten. Langfristig wird die Person weiterhin durch den Betriebsarzt betreut, um Rückfälle oder erneute Belastungen zu vermeiden.

BEM: Best Practices aus Europa

Mit welchen Maßnahmen lassen sich Beschäftigte nach einer Krebserkrankung optimal wieder in den Beruf eingliedern? Dieser Frage geht eine Studie der Europäischen Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales (HaDEA) nach. Sie untersucht die vorhandenen BEM-Maßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten und den EWR-EFTA-Staaten (Island, Liechtenstein und Norwegen) – und zeigt Beispiele für bewährte Verfahren auf. Darunter finden sich auch Maßnahmen, deren Schwerpunkt vor allem auf jungen Menschen, Frauen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) liegt.
Fazit

Das BEM stärkt nicht nur die Arbeitsfähigkeit von Mitarbeitenden, sondern auch das Vertrauen in das Unternehmen, deshalb ist es auch ein wichtiger Baustein im Gesundheitsmanagement. Es ergänzt präventive Maßnahmen und trägt langfristig zur Motivation und Gesundheit der Belegschaft bei.

Weiterführende Infos